„Gutgemeinte Ratschläge“, die eigentlich Ohrfeigen sind

Während der Fußball-WM gibt es in Deutschland 80 Millionen Bundestrainer, dazwischen ist jeder ein Bundeskanzler und sobald eine Frau in ihren 30ern sich Als Singlefrau zu erkennen gibt, lernt sie, dass jeder Deutsche auch noch Single-Coach und Paartherapeut ist. Genau so, wie die Menschen sich genötigt fühlen, jeder Frau, die mehr als Kleidergröße 38 trägt zu sagen, dass sie Übergewicht habe (was glauben die eigentlich, wer dieser Frau die Kleidung kauft), sieht es anscheinend jeder als seine Pflicht an, einer Singlefrau ungefragt zu sagen, woran es bei ihr liegt.

Warum sagen Menschen sowas überhaupt?

In diesem Artikel habe ich einmal die häufigsten dieser Bullshit-Sätze zusammengetragen. Manche dieser Sprüche mögen hilfreich gemeint sein. Bei anderen ist es ziemlich offensichtlich, dass sie verletzen sollen. Die allermeisten sind meiner Meinung nach einfach nur gedankenlos nachgeplappert – hat man schon mal so gehört, passt irgendwie zum Anlass, dann raus damit.

Weil es anscheinend unfassbar schwer für Menschen ist, zu einem Thema keine Meinung zu haben, oder -schlimmer noch – mitzufühlen und wahrzunehmen, wie hilflos sie sich fühlen, wenn sie jemandem, der leidet keine Lösung anbieten können. Das wäre in vielen Situationen aber die weitaus weniger verletzende Lösung.

Die Sätze aus dem Bullshit-Bingo habe ich mir nicht etwa ausgedacht. Jede einzelne Aussage hat eine Frau aus meiner Community schon einmal gehört. In diesem Artikel schauen wir uns die typischen Sprüche an, die Singlefrauen immer wieder zu hören bekommen. Ich möchte auch deine Geschichte und deine Erfahrungen hören: Hast du solche Sätze schon selbst gehört? Was lösen sie in dir aus? Wie geht es dir damit?

Lasst uns gemeinsam dafür sorgen, dass Frauen in dieser Lebensphase keine Scham oder Unsicherheiten mehr verspüren müssen. Das Bild der „ewigen Singlefrau“ voller Mängel gehört endgültig aus den Köpfen verbannt. Es wird Zeit, diese Klischees und Vorurteile hinter uns zu lassen und uns selbst mit Liebe und Stolz anzunehmen. Gemeinsam räumen wir auf mit den Mythen und Sprüchen, die uns so oft im Weg stehen!

Ohrfeige Nr. 1: „Du bist nicht mehr die Jüngste. Deine biologische Uhr tickt.

Wirklich jede der Frauen, mit denen ich arbeite, hat diesen Satz schon einmal zu hören bekommen. Als wäre es möglich, in unserer Gesellschaft 30 zu werden und nicht zu wissen, dass das Zeitfenster, innerhalb dessen man als Frau Kinder kriegen kann, begrenzt ist. Ich werde nie verstehen, warum es Menschen so ein großes Bedürfnis ist, andere Menschen auf ein Problem hinzuweisen, von denen allen klar sein müsste, dass sie es längst kennen.

Menschen, die diese Sätze aussprechen, fragen gar nicht erst, ob diese Frau überhaupt Kinder möchte – sie finden, dass sie es wollen sollte. Sie fragen auch nicht, ob die Frau in der Lage ist Kinder zu bekommen. Wie schmerzhaft ist es wohl für eine Frau, die längst weiß, dass sie unfruchtbar ist, immer wieder mit dieser Aussage konfrontiert zu werden?

Zu guter Letzt entsteht bei vielen Frauen erst dann ein starker Kinderwunsch, wenn sie sich in den passenden Mann verliebt haben. Plötzlich ist da jemand, dem sie vertrauen, auf den sie sich verlassen können, mit dem sie sich auf eine gemeinsame Zukunft einlassen wollen. Ein Mensch, der so viel Liebe in ihnen erweckt, dass diese Liebe überströmen und weitere Menschen mit in dieses Leben bringen will. Ist das nicht eigentlich wunderschön so?

Ohrfeige Nr. 2: „Du bist zu unabhängig. Das macht Männern Angst.“

Statt „unabhängig“ kann man hier auch einsetzen: Stark, intelligent, groß, erfolgreich, selbstbewusst, ambitioniert, schlagfertig, emanzipiert, gebildet. Es bedeutet im Grund genommen alles da gleiche: Du bist zu viel. Das ist unweiblich. All diese Aussagen bringen mich mittlerweile so richtig auf die Palme. Wenn du einmal sehen möchtest, wie mir die Halsschlagader anschwillt, dann nutze gerne einen dieser Sätze, lehne dich zurück und beobachte.

All diese Gedanken sind zutiefst sexistisch. Wir erinnern uns: Sexismus bedeutet, dass ein Geschlecht besser als das andere ist, mehr kann und dass das nur so herum richtig ist. Frauen, die in irgendwas besser sind als Männer, verstoßen gegen diese Norm und sind damit falsch.

Was mich daran aber mittlerweile genau so stark aufregt, ist das abschätzige Männerbild, das hier vermittelt wird: Männer können es nicht aushalten, wenn eine Frau sie in irgendetwas übertrifft. Sie treten also ständig in Konkurrenz mit ihren Partnerinnen, fühlen sich nur sicher, wenn sie sie auf allen Ebenen ausstechen. Ansonsten geht es ihnen schlecht und davor müssen wir alle sie beschützen. Indem wir sie an der Nase rumführen und ihr Ego päppeln.

Ohrfeige Nr. 3: „Vielleicht bist du ja beziehungsunfähig. Hast du da mal drüber nachgedacht?“

Es ist verblüffend, wie sehr Menschen immer wieder das Ausmaß an Selbstkritik unterschätzen, mit dem Frauen jeden Tag durch das Leben gehen. Natürlich hat sie darüber nachgedacht! Ständig. Wenn eine Frau einen Korb bekommt, fragt sie sich oft noch Jahre später, was sie falsch gemacht hat. Wenn eine Frau eine Beziehung beendet, hat sie das vorher ein dutzendmal in ihrem Kopf durchgespielt und wird auch hinterher noch daran zweifeln, ob das so richtig war.

Wenn eine Frau Single ist und es lieber nicht wäre, dann hat sie jeden Stein in sich umgedreht und darunter geschaut. Sie kennt jeden ihrer körperlichen Makel und hat jeden Aspekt ihres Charakters auf die Goldwaage gelegt. Natürlich hat sie Beziehungsunfähigkeit gegoogelt, Podcastfolgen gehört, Artikel dazu gelesen, vielleicht ganze Bücher. Sie hat Tests gemacht und sich selbst ein „abhängiges Bindungsmuster“ attestiert. Hat es ihr geholfen? Nein. Würde es jemanden davon abhalten, sie zu lieben? Auch nein.

Denn wenn wir alle uns mal die Beziehungen um uns herum ansehen, dann stellen wir fest, dass gerade die Beziehungen, in denen einer von beiden äußerst bindungsunfähig ist, oft besonders lang halten – schlicht und einfach deshalb, weil der andere Partner sich viel zu viel gefallen lässt. Und das erklärt dann auch wieder, warum so wenig gute Partner am Markt sind. Weil gerade die besonders beziehungsfähigen Menschen sich oft sehr früh festlegen auf eine Beziehung, die eigentlich gar nicht so super ist. Beziehungsfähigkeit kann eben Fluch und Segen sein. Ganz sicher sagt sie nichts darüber aus, ob jemand in einer glücklichen Beziehung landet oder nicht.

Ohrfeige Nr. 3: „Du hast ja keine Ahnung, was es bedeutet, Verantwortung zu tragen!“

Niemand weckt eine Singlefrau, wenn sie mal verschläft – und trotzdem kommt sie jeden Tag pünktlich zur Arbeit. Niemand erinnert sie daran, dass der Reifenwechsel fällig ist, niemand kauft ihr Deo nach wenn es leer ist und niemand stellt ihr einen Joghurt in den Kühlschrank – nicht einmal die Sorte, die sie nicht mag.

Manche Menschen stellen sich das Leben einer alleinstehenden Frau als dauerhafte Party vor, als reinstes Chaos, als Faulenzen ohne Ende. Mit der Lebensrealität der meisten Singlefrauen hat das rein gar nichts zu tun. Sie sind es, die im Büro dafür sorgen, dass alle Kollegen ein Geburtstagsgeschenk bekommen, sie sind es, die ans Telefon gehen wenn jemand anders plötzlich das kranke Kind aus der Kita abholen muss. Sie sind es, die sehen, wem es gerade nicht so gut geht und die ihre Zeit und ihr Lächeln freigiebig verschenken während sie ihre 40-Stunden-Woche wuppen.

Die meisten Singlefrauen, die ich kenne, haben einen Schrank voller Lebensmittelvorräte, eine Riesterrente und eine stets gut gefüllte Hausapotheke. Sie gehen regelmäßig zur Vorsorge, ernähren sich gut und treiben Sport – denn ihnen ist völlig klar, dass sie ganz alleine für sich sorgen müssen. Und können.

Ihre Verantwortung mag sich nicht in Budgetgrößen ausdrücken oder darin, dass sie für die Turnbeutel anderer Menschen zuständig sind, aber nicht selten lesen sie in ihrer Freizeit Erziehungsratgeber oder lernen, wie man Häuser renoviert – um sich schon mal auf die nächste Lebensphase vorzubereiten. Wenn jemand es eine Gruppe Menschen gibt, die tendenziell mehr Verantwortung trägt, als sie es müsste, dann sind es Singlefrauen.

Ohrfeige Nr. 4: „Ich hab ihn mir einfach manifestiert. Versuch das doch mal!“

Kommen wir zu der vorletzten Kategorie, die ich in diesem Artikel behandeln möchte – den ungebetenen Problemlösevorschlägen. Dass Singlefrauen längst auf den meisten Datingplattformen vertreten sind, und überall die gleichen negativen Erfahrungen machen, spricht sich so langsam rum: Zum Einen sind dort um ein Vielfaches mehr Männer vertreten, zum anderen geben sie sich statistisch gesehen kaum Mühe mit ihren Profilen und ihrer Kommunikation.

Eine Frau auf Tinder, Parship oder Lovoo zu sein, bedeutet auch im Jahr 2025, überflutet zu werden mit Nachrichten, die über ein „Hey, na?“ kaum hinausgehen und von Profilen verschickt werden, deren Textteil sich beschränkt auf „Alles kann, nix muss.“ Spätestens wenn eine Singlefrau so genervt ist, dass sie anderen ihre Inbox zeigt, wird denen klar, dass „Geh doch mal ins Internet!“ kein hilfreicher Ratschlag ist.

Was danach kommt? Durchhalteparolen. Entweder soll man aufhören, sich mit dem Thema zu beschäftigen – bitte denken Sie jetzt nicht an einen rosa Elefanten! Oder man soll einfach den Mr. Right beim Universum bestellen. Das Problem am Manifestieren ist nur, dass es wieder die Verantwortung bei der Person ablädt, die das Problem hat – wenn es nämlich nicht zum gewünschten Erfolg führt, dann muss sie etwas falsch gemacht haben. Und das führt uns zum letzten Punkt, dem ich in diesem Artikel Raum geben möchte: Der Sache mit der Schuld.

Ohrfeige Nr. 5: „Selbst schuld!“

Menschen finden die merkwürdigsten Wege, um jemandem Schuld am eigenen Schicksal zu geben. „Zu wählerisch“, „nicht wählerisch genug“, „wärst du mal beim Ex geblieben“, „du bist zu lange beim Ex geblieben“, was auch immer. Solange man nur irgendwie der Singlefrau die Schuld an ihrer Lage geben kann, braucht man auch kein Mitgefühl für sie zu haben.

„Selbst Schuld“ ist nichts anderes, als eine elegante Art, zu sagen:“Komm, lass mich mit deinen Problemen in Ruhe, das macht mir schlechte Laune.“ Aber direkt zu sagen, dass man keinen Bock hat, Mitgefühl zu haben, das ist den meisten Menschen dann eben doch zu heikel.

Ein Stück weit kann ich diese Menschen sogar verstehen: Es hilft, sich einzureden, dass man eben alles richtig gemacht hat im Leben und deshalb da steht, wo man steht. Würde man sich eingestehen, dass man eben einfach ganz viel Glück gehabt hat, müsste man auch den Gedanken zulassen, dass es mit dem Glück jederzeit vorbei sein kann. Das fühlt sich hilflos an und das mag keiner von uns.

Fakt ist: Kein Problem der Welt wurde je gelöst, indem man einen Schuldigen gefunden hat. Niemand hat sich je besser gefühlt dadurch, dass man ihm sein Problem postwendend wieder vor die Tür gelegt hat und dann weggegangen ist. Denn genau das ist die Botschaft, die da drinsteckt: „Sorry, aber das musst du jetzt alleine ausbaden.“

Jetzt bist du dran: Teile deine Erfahrungen!

Welche Sätze musstest du dir schon als Singlefrau ab 30 anhören? Gibt es Vorurteile oder Kommentare, die dir besonders nahegehen? Wer hat dir diese verletzenden Dinge gesagt und wie bist du damit umgegangen? Teile sie gerne in den Kommentaren – denn je mehr wir darüber sprechen, desto besser können wir die Welt über diese Vorurteile aufklären!