„Ich glaube, jetzt brauche ich mal jemanden, der mir weiterhilft.“ Wenn man an diesem Punkt angekommen ist, gibt es oft zwei Optionen: den Weg ins Coaching oder den Weg in die Psychotherapie. Die meisten Menschen treffen diese Entscheidung nicht unbedingt danach, was am besten zu ihnen passt, sondern danach, was ihnen am nächsten ist.
Vielleicht kennt man Coaching aus dem beruflichen Kontext oder hat Freunde, die von ihrer Psychotherapie erzählt haben. Heute wollen wir uns dieser Entscheidung mal von einer anderen Warte aus nähern: Wir sehen uns an, wo die Unterschiede zwischen diesen beiden Methoden liegen und wann welche Unterstützung sinnvoll ist.
Unterschiedliche Ziele und Ansätze
Coaching und Psychotherapie unterscheiden sich in ihren Zielen und Ansätzen: Psychotherapie ist der Definition nach die Behandlung von krankheitswertigen Symptomen und Erkrankungen. Das bedeutet, dass in der psychotherapeutischen Behandlung auf jeden Fall eine Diagnose gestellt und in die Patientenakte eingetragen wird – allein schon aus steuerlichen Gründen. Denn Psychotherapie ist von der Umsatzsteuer befreit, aber eben nur mit eingetragener Diagnose.
Kassentherapeut:innen müssen diese Diagnose an die Krankenkasse weitergeben, freie Therapeut:innen kommunizieren in der Regel mit niemandem außer dem Finanzamt – wenn sie ihre eigene Einkommenssteuererklärung abgeben.
Geht es mir denn schon schlecht genug dafür?
Manche Therapeut:innen sehen das Thema „krankheitswertig“ sehr streng und weisen Menschen zurück, denen es objektiv betrachtet „noch nicht schlecht genug“ geht, andere sind da etwas großzügiger. Dies liegt nicht zuletzt an den langen Wartezeiten in der Kassentherapie in Deutschland. In der Arbeit mit Selbstzahler:innen ist die Lage zum Glück etwas entspannter.
Coaching hingegen fokussiert sich auf die Unterstützung von Menschen in der Erreichung ihrer persönlichen und beruflichen Ziele. Es geht weniger um die Behandlung von Krankheiten, sondern vielmehr darum, vorhandene Ressourcen zu stärken und neue Fähigkeiten zu entwickeln.
Warnsignale erkennen
Ein guter Coach kann während des Prozesses feststellen, ob eine Person krankheitswertige Symptome entwickelt hat. Schlafprobleme, Essstörungen oder Phasen, in denen man es vor Frustration tagelang nicht aus dem Bett schafft, sind solche Warnsignale. In solchen Fällen sollte ein Coach die Person bitten, eine Psychotherapie in Anspruch zu nehmen.
Das kann jedoch riskant sein, denn die Person könnte sich vor den Kopf gestoßen fühlen, einfach fortbleiben und letztendlich weder vom Coach noch vom Therapeuten Hilfe annehmen. Hier ist Feingefühl gefragt, aber auch Verantwortungsbewusstsein und Klarheit über die Grenzen der eigenen Fähigkeiten.
Balanceakt: Belastungen und Ressourcen
Man kann den Unterschied zwischen Coaching und Psychotherapie gut anhand eines Bildes illustrieren: Das Leben ist ein ständiger Balanceakt. Unser inneres Gleichgewicht muss ständig neu austariert werden. Alle Aufgaben und Herausforderungen stellen Belastungen dar, alle unsere Fähigkeiten und Beziehungen sind Ressourcen. Solange beides gleich groß ist, fühlen wir uns ausgeglichen, sind handlungs- und genussfähig. Kommt die Balance aus dem Gleichgewicht, brauchen wir zusätzliche Unterstützung.
In der klassischen Psychotherapie wird hauptsächlich mit dem Belastungspol gearbeitet: Nachdem analysiert wurde, was im Hier und Jetzt den Stress auslöst, wird geschaut, warum das für diese Person so belastend ist. Oft kommen dabei alte Wunden zutage. Der betreffende Mensch hat noch nicht lernen können, mit bestimmten Herausforderungen umzugehen, weil es in der Vergangenheit ein störendes Ereignis gab. Dieses wird vor allem erst mal aufgedeckt.
Es wird sozusagen das Pflaster von der Wunde gerissen. Die grundsätzliche Idee ist dann, dass die Wunde neu und besser verheilen wird, wenn nur erst einmal Luft daran gekommen ist. Hat sich der alte emotionale Schmerz gelegt, ist der Verstand wieder frei, neue Handlungskompetenzen zu entwickeln – so, wie er das schon vor Jahren hätte tun können, wenn er nicht zu sehr mit dem alten Schmerz beschäftigt gewesen wäre.
Im Coaching dagegen wird weniger stark in die Vergangenheit geschaut. Hier werden Ressourcen betrachtet: Was hat die Person schon alles in ihrem Werkzeugkästchen, um sich selbst zu helfen? Welche Werkzeuge fehlen noch? Diese werden dann ergänzt. Hier geht es viel um Recherchieren, Planen und Umsetzen. Beides sind gangbare Wege – im Idealfall kommt die Waage so oder so wieder ins Gleichgewicht.
Besonders gute Coaches haben auch die Fähigkeit, emotionale Blockaden ihrer Klient:innen aufzudecken und zu bearbeiten. Oft ist es ja so, dass wir genau wissen, was wir tun müssten, aber über Wochen und Monate hinweg beobachten, dass wir das überhaupt nicht umsetzen.
Hier trennt sich meiner Meinung nach die Spreu vom Weizen: Während der eine Coach nur sagt:“Handeln Sie doch einfach anders, Sie wissen ja jetzt, wo Sie hinwollen,“ geht der andere tiefer. Mir war es deshalb besonders wichtig, eine Coachingmethode zu erlernen, die emotionale Blockaden berücksichtigt und mir Mittel und Wege an die Hand gibt, diese zu lösen.
Unterschiede für die unterstützende Person
Was bedeutet das eigentlich für denjenigen, der seine Unterstützung zur Verfügung stellt? In der Psychotherapie gehe ich sehr behutsam vor, gebe meinen Klient:innen erst einmal den Raum, Vertrauen zu mir aufzubauen, sich fallen zu lassen, zu weinen. Im Coaching dagegen darf ich pragmatischer sein, fordernder, ja sogar anspornend. Es ist ein wenig so, wie im Privatleben: Da darf ich mal eher in die mütterliche Rolle schlüpfen und mal bin ich eher die Cheerleaderin.
Was ist wann das Richtige für wen?
Kurz gesagt: Jede Unterstützung ist besser als keine Unterstützung. Es ist vollkommen in Ordnung, auf der einen Seite zu starten oder auf der anderen. Vielleicht ist es nur ein erster Schritt in die richtige Richtung, vielleicht aber ist es auch gar nicht so wichtig, welchem Konzept die unterstützende Person folgt.
Der größte Wirkfaktor liegt immer in der Beziehung zwischen den beiden Beteiligten. Dazu gibt es zahlreiche psychotherapeutische Wirksamkeitsstudien. Diese Beziehung sollte sowohl von Vertrauen geprägt sein, als auch eine effektive Zusammenarbeit ermöglichen.
Coachingpakete vs. Einzelsitzungen
Im Coaching ist es üblich, mit Paketen zu arbeiten. Die Kundin entscheidet sich vorab, beispielsweise 12 Sitzungen insgesamt in Anspruch zu nehmen. Diese werden im Voraus bezahlt. Das hat enorme Vorteile: Die Coachin hat Planungssicherheit – sie kann sich entspannt vorbereiten und die Coachingreise langfristig planen. Das ursprüngliche Thema ist zwar oft schneller „erledigt“, als gedacht, aber die verbleibenden Sitzungen sind es oft, die den größten Mehrwert bieten. Aus der Entspannung heraus, den ersten Leidensdruck verloren zu haben, entsteht eine kreative Kraft, die völlig neue Entwicklungsmöglichkeiten eröffnet.
In der Psychotherapie werden zwar klassischerweise 25 Sitzungen oder mehr beantragt, tatsächlich endet diese Arbeit aber oft vorzeitig und abrupt. Sind die Belastungen erst einmal wieder auf ein aushaltbares Level gesunken, scheint die Therapie keinen weiteren Sinn zu machen. Die übrigen beantragten Sitzungen werden als Sicherheitspuffer für schlechte Zeiten liegengelassen – und verfallen dann nicht selten ungenutzt. Das ist schade, denn eigentlich gehört zu einem glücklichen Leben ja mehr als nur die Abwesenheit von Schmerz. Ein glückliches Leben ist auf Ziele, Wünsche und Träume ausgerichtet.
Erfahrene Therapeut:innen und Coaches sind hier nicht nur prima Sparringspartner bei der Planung und Umsetzung, sie verfügen auch über ein enorm hohes praktisches Wissen. Schließlich laufen bei ihnen unzählige Geschichten zusammen von Menschen, die ihre Ziele bereits verwirklicht haben. Ja, man kann als Klient:in durchaus auch mal fragen, was bei anderen funktioniert hat und was nicht.
Unterschiede und Überlappungen
Während Coaching und Psychotherapie klar definierte Grenzen haben, gibt es in der Praxis oft Überlappungen. Zum Beispiel kann ein Coaching-Prozess tiefgehende emotionale Themen berühren, die eine psychotherapeutische Intervention erforderlich machen. Gleichzeitig kann eine Psychotherapie praktische Strategien und Techniken aus dem Coaching integrieren, um die Umsetzung von Veränderungen im Alltag zu unterstützen.
Beispiele aus der Praxis
Nehmen wir das Beispiel von Clara. Clara hat in ihrem Beruf viel Stress und fühlt sich zunehmend erschöpft. Sie entschließt sich, einen Coach aufzusuchen, um ihre beruflichen Ziele zu klären und besser mit dem Stress umzugehen.
Während der Sitzungen stellt sich heraus, dass Clara auch unter Schlafstörungen und häufigen Angstgefühlen leidet. Der Coach, der in diesem Fall auch einen psychotherapeutischen Hintergrund hat, wählt daraufhin eine psychotherapeutische Intervention und hilft Clara, alte Wunden zu heilen und besser mit ihrem Stress umzugehen. So konnte Clara innerhalb eines Prozesses sowohl von Coaching- als auch von Therapieansätzen profitieren.
Ein anderes Beispiel ist Felix. Felix hat Schwierigkeiten, seine beruflichen und privaten Herausforderungen unter einen Hut zu bekommen. Er sucht eine Therapeutin auf, die ihm hilft, seine Ängste zu überwinden und seine Depressionen zu behandeln. Nachdem einige Monate vergangen sind und Felix sich besser fühlt, setzt die Therapeutin auf Coaching-Methoden, um ihm zu helfen, seine Stärken zu erkennen und neue Strategien zu entwickeln. Auch hier wurde ein fließender Übergang zwischen Therapie und Coaching geschaffen.
Deshalb erlebt man gerade bei erfahreneren Anbietern von Coaching und Psychotherapie oft, dass sie beides Beherrschen – denn auch für uns ist es befriedigender, den ganzen Menschen im Blick zu haben. Das ermöglicht es uns, weiter mit ihm oder ihr zu gehen, als nur bis zur nächsten Weggabelung.
Gemeinsame Ziele
Sowohl Coaching als auch Psychotherapie streben danach, das Wohlbefinden und die Lebensqualität der Klient:innen zu verbessern. Beide Methoden können dabei helfen, Klarheit über persönliche Ziele zu gewinnen, Selbstvertrauen aufzubauen und effektive Strategien zur Bewältigung von Herausforderungen zu entwickeln.
Unterschiedliche Methoden
Die Methoden und Techniken, die in Coaching und Psychotherapie verwendet werden, können unterschiedlich sein. Psychotherapeut:innen nutzen oft tiefenpsychologische Ansätze, kognitive Verhaltenstherapie oder andere klinische Methoden, um tiefsitzende emotionale Probleme zu behandeln. Coaches verwenden hingegen häufig lösungsorientierte Techniken, systemisches Coaching und praxisnahe Übungen, um die Klient:innen in ihrer Zielerreichung zu unterstützen.
Während das Recht, Psychotherapie anzubieten in Deutschland an strenge Voraussetzungen gebunden ist, darf Coaching mehr oder minder unreguliert angeboten werden. Seriöse Coaches kennen ihre Grenzen und müssen ihre Klient:innen im Zweifelsfall abgeben wenn deren Themen zu tief gehen. Psychotherapieanbieter mit Coachingkompetenz können und dürfen alles abdecken.
Fazit
Ob Coaching oder Psychotherapie – beide Ansätze bieten wertvolle Unterstützung und haben ihre jeweiligen Stärken. Wichtig ist, dass man sich Unterstützung holt, wenn man sie braucht, und offen dafür bleibt, die Angebote zu nutzen, die man bekommen kann. Die Entscheidung hängt oft von den individuellen Bedürfnissen und dem aktuellen Lebenskontext ab. Die Beziehung zwischen Klient:in und Unterstützer:in ist dabei der wichtigste Wirkfaktor.
Aber auch pragmatische Entscheidungen spielen hinein – so kann Coaching oft im Bereich der beruflichen Werbungskosten abgesetzt werden, Psychotherapie zählt steuerlich zu den „Außergewöhnlichen Belastungen“ und ist somit etwas schwieriger abzusetzen.
Jeder Weg zur Unterstützung ist ein Schritt in die richtige Richtung, und es ist nie verkehrt, sich Hilfe zu holen – egal, ob im Coaching oder in der Psychotherapie.
Neueste Kommentare