Viele meiner Klientinnen kommen zu mir, weil sie ein schlechtes Selbstbewusstsein haben. Das merken sie daran, dass sie ständig Dinge tun, die sie eigentlich nicht wollen:
- Sie verabreden sich privat mit dem Kollegen, der sie eigentlich nervt – aber er hat nunmal gefragt und sie schaffen es nicht, ihn vor den Kopf zu stoßen.
- Bei anderen Männern hingegen, bei denen, die kein echtes Interesse an ihnen zeigen, bleiben sie viel zu lange am Ball – sie bemühen sich um sie und hoffen, irgendwann doch noch attraktiv für sie zu werden.
- Sie lassen sich von ihrer Vorgesetzten immer mehr Aufgaben auftragen, die ihnen keine Freude bereiten und bei denen sie deshalb auch nicht glänzen können – weil sie nicht den Mut haben, nein zu sagen.
- Sie treffen sich regelmäßig mit alten Freunden, mit denen sie sich eigentlich nicht mehr viel zu sagen haben oder schlimmer noch: Mit Elternteilen, die gemein zu ihnen sind.
Und wenn sie sich dabei so von außen beobachten, dann stellen sie fest: Ich bin es mir offenbar nicht wert, mich für mich selbst einzusetzen.
Die Brechstangen-Methode
Da meine Klientinnen meistens sehr talentierte und intelligente Frauen sind, entwickeln sie selbstständig Strategien, um ihr Selbstwertgefühl zu erhöhen. Dabei orientieren sie sich oft an den Verhaltensweisen von Menschen, die sie als selbstbewusst wahrnehmen:
- Sie investieren Zeit und Geld in ihr Aussehen – gehen zum guten Friseur, kaufen typgerechte Kleidung, achten auf ihr Gewicht. „Wenn ich gut aussehe,“ so die Idee dahinter, „werde ich mich auch gut fühlen.“
- Sie treiben sich selbst zu Höchstleistungen an – laufen einen Marathon, absolvieren eine Fortbildung nach der nächsten und machen tolle Karrieren. „Wenn ich angesehener bin als jetzt, werde ich mich gesehen und geschätzt fühlen.“
- Sie erfüllen sich Träume, die man mit dem Geldbeutel erreichen kann – kaufen sich ein Traumauto, mieten eine größere Wohnung, statten sich mit Marken aus. Sie verwechseln „Ich bin es mir wert“ mit „Das kaufe ich mir“.
All das erhöht den Selbstwert nicht wirklich, denn sie zeigen sich damit selbst:“Ich muss viel Aufwand betreiben, um mich in Ordnung zu finden. Wenn ich damit aufhören würde, würde ich mich wieder klein fühlen. Damit wird das Selbstbild, das besagt „Ich bin nicht genug“ nur noch weiter verstärkt.
Der Glaube versetzt Berge
Immer wieder bin ich überrascht, wie schnell meine Klientinnen nach Beginn der Zusammenarbeit stolz berichten, dass sie die Dinge nun anders machen:
- „Ich habe ihm gesagt, dass ich doch lieber nur Kollegen bleiben möchte. Hat er total gut angenommen.“
- „Ich merke, dass ich keine Lust mehr habe, jemandem hinterherzurennen. Mich langweilen diese Männer.“
- „Ich habe meiner Vorgesetzten gesagt, was ich eigentlich machen will. Sie hat mir eine Stelle angeboten, auf die ich richtig Lust habe.“
- „Ich verbringe jetzt mehr Zeit mit neuen Menschen. Die sind viel netter zu mir.“
Warum geht das so schnell? Erst mal liegt es an der Entscheidung meiner Klientinnen. In dem Moment, in dem sie meine Hilfe suchen, haben sie bereits eine Entscheidung getroffen, die ihnen oft selbst noch nicht einmal bewusst ist:
„Ich entscheide mich, daran zu glauben, dass es besser werden kann. Ich kann und werde selbst diese Veränderung herbeiführen.“
Im Grunde genommen bin ich dann nur noch diejenige, die dafür sorgt, dass sie sich keine neuen Steine in den Weg legen. Ich darf zusehen, wie sie die Dinge selbst in die Hand nehmen. Und ich darf Ideen dazu beisteuern, wie gehen kann, was sich so lange unmöglich angefühlt hat.
Selbstkonzept und Selbstbewertung
Im Grunde genommen setzt sich unser Selbstwertgefühl aus zwei Teilen zusammen: Dem Konzept, das wir von uns selbst haben und der Bewertung, die wir diesem Konzept zuschreiben:
- „Ich bin freundlich und harmoniebedürftig.“ Die negative Bewertung wäre:“Ich bin immer zu nett, lasse mir zu viel gefallen und erschleiche mir so, dass andere mich mögen.“ Die positive Bewertung wäre:“Mit mir zu tun zu haben ist angenehm für andere Menschen. Selbst unangenehme Dinge kann man mit mir so besprechen, dass sich alle gewertschätzt fühlen.“
- „Ich bin zielstrebig und direkt.“ Die negative Bewertung wäre:“Ich stoße andere vor den Kopf. Ich will zu viel und bin ihnen zu viel.“ Die positive Bewertung wäre:“Ich bin beliebt, weil ich viel schaffe. Andere wissen zu schätzen, dass ich Dinge durchboxe und suchen mich dann auf, wenn jemand starkes gebraucht wird.“
- “Ich bin ruhig und gewissenhaft.“ Die negative Bewertung wäre:“Ich bin langweilig. Menschen mögen nicht, dass ich so pingelig bin.“ Die positive Bewertung wäre:“Auf mich ist Verlass. Andere wissen, dass ich Struktur ins Chaos bringe. Meine Ausstrahlung ist erholsam für die Menschen um mich herum.“
Was aus den Beispielen auch deutlich wird ist, dass unsere Bewertung dessen, was wir sind auch immer Einfluss auf unsere Beziehungen hat. Wir erwarten, unbeliebt zu sein, wenn wir unser Selbstkonzept negativ bewerten. Haben wir dagegen gelernt, die guten Seiten zu sehen, gehen wir davon aus, dass andere uns mögen werden. Und die Erwartung, die wir daran haben, wie andere uns sehen, werden meistens erfüllt. Denn wenn wir erwarten, abgelehnt zu werden, gehen wir weniger positiv auf neue Menschen zu, als wenn wir davon ausgehen, dass sie uns mögen werden.
„Niemand wird mit einem schlechten Selbstwert geboren“
Meine therapeutische Ausbilderin Regina Pleske sagte einmal sinngemäß folgenden Satz zu mir:“Jeder Mensch kommt mit einem gesunden Selbstwertgefühl auf die Welt. Aber dann stoßen uns Dinge zu, aus denen wir fälschlicherweise den Schluss ziehen, dass wir nicht so wertvoll sind wie andere.“
Solche Einschläge gibt es in fast jedem Leben: Die Eltern trennen sich und das Kind sucht die Schuld bei sich. Das Kind wird gemobbt und fühlt sich ausgeschlossen. Ein Elternteil interessiert sich wenig für das Kind und es hält sich für uninteressant. Die Eltern haben große Sorgen und sind daher nicht so aufmerksam, wie das Kind es bräuchte.
Das schöne ist, dass wir diese falschen logischen Verknüpfungen alle aufspüren können: Dort, wo der größte Schmerz sitzt, stecken auch die größten Fehlannahmen darüber, wie wertvoll wir sind. Wenn wir diesem Schmerz nachgehen, finden wir oft die andere Seite der Medaille. „Wie könnte ich stattdessen über mich selbst denken?“ „Was hat der andere Mensch wohl tatsächlich über mich gedacht?“ „Welches Gefühl für das kleine Kind, das ich damals war, kommt heute in mir hoch?“
Was ich dazu beitrage
Meine wichtigste Aufgabe in der Arbeit mit meinen Klientinnen ist es, ihnen zu zeigen, was alles an ihnen richtig ist, obwohl es irgendwann als falsch bewertet wurde. Manchmal tue ich das mit Worten und mit logischen Argumenten. Vor allem aber mache ich es, indem ich da bin: An ihrer Seite und auf ihrer Seite.
Oft denke ich, dass ich eher so etwas wie eine große Schwester bin, die sie sich vorübergehend ausleihen. Die große Schwester, die ihnen den Rücken stärkt, die an sie glaubt, die manchmal klare Worte dafür findet, wie doof die anderen sind und die es ihnen ehrlich sagen würde, wenn sie selbst das Problem wären. Sind sie aber meistens nicht. Und wer eine große Schwester hat, die sich im Hintergrund bereithält, geht mit einem ganz anderen Selbstvertrauen raus in die Welt.
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